Der Vortrag ist eine Würdigung der Streitschriften Tolstois im 19.Jh., deren wesentlicher Inhalt darin besteht, für eigene, grundtiefe Überzeugung zu kämpfen, unter Inkaufnahme der Exkommunizierung und gesellschaftlichen Ächtung.
Der russische Schriftsteller Lew Nikolajewitsch Tolstoi fand seinen Eingang in die Weltliteratur insbesondere durch die Romane: Anna Karenina, Krieg und Frieden und eine Reihe von Erzählungen.
Weit weniger berühmt sind Abhandlungen wie: „Die Kritik der dogmatischen Theologie“, in welchen sich der Dichter in einem wahren Seelenkampf kompromisslos streitbar mit der kirchlich organisierten Religion und dem Kirchenchristentum auseinandersetzt.
Ausgang für seine neue Weltanschauung, die auf profunder theologischer Forschungsarbeit beruht, war ihm sittliche Pflicht, war sein moralischer Anspruch, nach dem Geiste der Lehre Christi zu suchen. So begab er sich an die Reinigung der Lehre von den „Zutaten und Verstümmelungen, durch die der Eigennutz herrschsüchtiger Fürsten und Priester sie bis zur Unkenntlichkeit entstellt haben“.
Nach Wahrheit zu suchen, bedeutete
für Tolstoi seinen Lebenssinn zu finden über die Lösung des Widerspruchs
zwischen antrainiertem Glauben und kritischem Verstand. Tolstoi wirft
Grundfragen des menschlichen Lebens auf, mit den Worten:
„Auf meine Frage: Was hat mein Leben auf dieser Welt für einen Sinn? lautet die
Antwort also: … dieser Gott, halb Mensch, halb Ungeheuer hat … eine sonderbare
Welt geschaffen …und zu allem hat er gesagt, dass es gut sei, es ist aber alles
sehr wenig gut geworden. …Ich bin … verloren, wenn ich das Unglück habe, die
Forderungen meiner Vernunft für gerecht zu halten und sie nicht
abschwöre“.
Ein weiteres Zitat von Tolstoi
lautet:
„Auf meine Frage, wie soll ich leben, gibt mir diese Lehre eine Antwort, die
alles leugnet, wonach mein moralisches Gefühl Verlangen trägt und fordert, was
mir immer als das Unsittlichste vorgekommen ist, nämlich, dass ich heucheln
soll.
… Aus allen Anwendungen der Dogmen auf die Moral folgt nur immer ein und
dasselbe:
Suche Erlösung im Glauben …und wie kann ich nach dem Guten streben, wenn das
wichtigste Glaubensdogma darin besteht, dass der Mensch selbst nichts vermag,
und dass ihm alles - ohne seinen Verdienst – durch die Gnade zuteil wird … die
Gnade aber wird mir durch die Sakramente der Kirche mitgeteilt, folglich muss
ich …Popen um mich haben oder im Kloster leben.
Und die orthodoxe Kirche? Damit kann ich keine andere Vorstellung mehr verbinden, als die von einer Anzahl sehr selbstbewusster und verirrter, wenig gebildeter Leute, die in Samt und Seide mit Brustbildern von Heiligen einhergehen und Erzbischöfe und Metropoliten genannt werden. Wie kann ich jetzt noch an die Kirche glauben, wenn sie auf die tiefsten Fragen der Menschheit nach dessen Seelenheil mit plumpen Betrügereien und albernem Humbug antwortet und behauptet, niemand dürfe sich erdreisten, anders auf die Fragen zu antworten“.
Nach dieser massiven Kirchenkritik
läge die Vermutung nahe, Tolstoi hätte sich zum Atheisten entwickelt.
Tatsächlich aber stellt er in seinem Werk „Mein Glaube“ dar, dass Glaube
notwendig sei und allen Menschen zur Lebensgrundlage dient.
Zitat: „Christi Lehre ist die Lehre vom Leben, nur muss man sie ganz verstehen
und unbeeinflusst von den Formen nehmen, die ihr die Kirche gegeben hat“.
Tolstoi stellt fünf Gebote in Aussicht, … „deren Ausübung das Glück aller
Menschen dauernd sichert … nur muss man sich lossagen von einer 1800jährigen
vermeintlichen christlichen Lebensgestaltung und von dem Irrtum, dass der
Einzelne gegenüber den herrschenden Mächten nicht imstande sei, die Gebote
Christi zu erfüllen“.
Vor einigen Jahren
schlenderte ich durch Zürich, um mir die Innenstadt anzusehen.
Ohne etwas besonderes im Sinn
zu haben, betrat ich dabei auch die Fraumünster-Kirche und las im
Eingangsportal an der Wand die Zeile:
„J’etais étranger et vous m’avez
accueilli“
Hierauf war ich in keiner
Weise vorbereitet. Aber der Spruch drang augenblicklich an meinem Verstand
vorbei tief in mein Gefühl ein und löste eine starke emotionale Bewegung in mir
aus. Ich war bewegt. Ich war betroffen. Ich musste schlucken.
Ich fragte mich alsbald, wie
ist eine solche nicht gerade gewöhnliche Reaktion überhaupt zu erklären ? Ich war mir lediglich
sicher, dass ich in diesem Augenblick nicht mein ethisches Ego aufpolieren
wollte und dass ich auch nicht auf das Wohlwollen einer überirdischen Macht
spekulierte.
Als Biologe aber weiß ich,
dass solche Emotionen von unserem limbischen System gesteuert werden, in
welchem unbewußt viele Vorerfahrungen und ein umfangreiches Vorwissen
verarbeitet und schließlich zu einer emotionalen Bewertung und Reaktion
zusammengefasst werden. Zu solchen vorhandenen Gedächtnisinhalten dürften im
vorliegenden Fall eine Vorstellung von Toleranz und eine Idee von Solidarität
gehört haben, aber auch ein Gefühl für Fremdsein und das Wissen um das
Schicksal der „povera gente“, der waldensischen Einwanderer nach Deutschland,
welche meinen Geburtsort gegründet haben. Hinzu kam passenderweise noch der
Gebrauch der französischen Sprache. Und Zürich war ja der historische Ort, an
welchem viele der waldensischen Flüchtlinge eine erste brüderliche und
tolerante Aufnahme fanden.
Mir scheint das eine typische
Reaktion zu sein, welche Toleranz produziert.
Ich nehme solche Erfahrungen
und Überlegungen zum Anlass, um einmal über das Wesen und die Bedeutung von
Toleranz nachzudenken.
* * *
Die Idee der Toleranz ist ein
schwieriges und ein ambivalentes Konzept.
Zu den Grundlagen unserer
Existenz und unseres Selbstbewusstseins gehört es, dass wir uns als Individuen
erfahren und dass wir uns als „Ich“ empfinden.
Wir sehen und beurteilen die
Welt von da aus, wo wir als Individuen gerade sind.
Diese Erfahrung wird
begleitet von einem natürlichen Überlebens- und Selbstbehauptungs-Willen, von
einem Ego-ismus, der von diesem „Ich“ ausgeht und der zunächst einmal alles
andere überlagert. Das Eigeninteresse und der Eigennutz des Individuums tragen
in sich eine lebenserhaltende Rechtfertigung und es wäre bloß ein törichter
Selbstbetrug, wenn sich jemand von uns davon freisprechen wollte.
Nun steht aber die Idee der
Toleranz dem, was wir gerade als den bestimmenden Beweggrund unseres Handels
definiert haben, diametral gegenüber.
Denn tolerant sein heißt ja,
zurückzuweichen, ein Stück von dem preiszugeben, was wir als unser
gerechtfertigtes Eigeninteresse oder gar als unsere Identität empfinden.
Weshalb sollten wir daher tolerant sein ?
Es wird nicht leicht sein,
diese Diskrepanz aufzulösen. Dies zeigt sich bereits daran,
dass sich wohl ein jeder von
uns als „im Grunde tolerant“ bezeichnen wird. Folglich müssten wir in einer
toleranten Welt leben, was aber nicht der Fall ist. Man wird diesen Widerspruch
am ehesten mit einer irreführenden, subjektiven Selbsteinschätzung erklären
können.
Es genügt offenbar auch nicht,
Toleranz einfach in den Rang einer Tugend zu erheben und dies undifferenziert
mit der Forderung zu verbinden, der Mensch möge tugendhaft sein.
Denn der Ausgangspunkt,
welcher Toleranz auslöst, hat mit Tugend zunächst nichts zu tun.
Wir müssen ja zuerst einmal
gegen etwas sein und etwas ablehnen und eine Opposition aufbauen, damit der
Toleranzbegriff überhaupt einen Sinn bekommt und Anwendung finden kann.
Gegenüber Personen, Vorgängen und Meinungen, welche wir akzeptieren, braucht es
keine Toleranz, da wir ja von vorneherein mit ihnen übereinstimmen.
Denn was wir später
tolerieren, sehen wir zunächst einmal als falsch an. Wäre dies nicht der Fall,
dann hätten wir es nicht mit Toleranz, sondern entweder mit Indifferenz oder
mit Zustimmung zu tun.
Bei dem Fremden aber, den ich
bei mir aufnehme, muss ich zunächst ein Gefühl gegen das Fremde und mir nicht
eigene überwinden, um dann möglicherweise zu einer toleranten Haltung zu
gelangen. Ich muss zusätzlich bereit sein, etwas Materielles mit ihm zu teilen,
was ich vielleicht lieber für mich behalten wollte und ich muss Mühen auf mich
zu nehmen, die ich gerne vermieden hätte.
* * *
Toleranz hat Grenzen.
Der Heidelberger Philosoph
Rüdiger Bubner hat Toleranz als „ein überschießendes Angebot menschlichen
Wohlwollens“ bezeichnet. Trotzdem ist evident, dass dieses „Überschießen“
irgendwie an Grenzen stoßen muss, soll Toleranz nicht ihren eigentlichen Sinn
verlieren.
Toleranz wird ausgelöst durch
das Abweichen von einer Norm in einem Ausmaß, welches wir als noch hinnehmbar
empfinden. Daher kann Toleranz nicht grenzenlos sein. Eine grenzenlose Toleranz
würde zur Selbstaufgabe führen.
Eine schrankenlose Hingabe
meiner Interessen bis zur Aufgabe meiner Identität an einen Anderen, müsste
zudem an diesen die Frage auslösen, wie es mit dessen eigenem Wohlwollen mir
gegenüber bestellt ist und wann seine eigene Toleranz zur Geltung kommt.
Weit vorher werden wir daher
unserer Toleranz Schranken setzen durch das von uns als gerechtfertigt
angesehene Eigeninteresse. Es gehört zum Wesen der Toleranz, dass diese Grenzen
nicht von vorneherein definierbar sind, dass sie unserer subjektiven
Einschätzung unterliegen, dass sie situationsabhängig sind, und dass sie dem
Wandel der Zeiten unterworfen sind.
In diesem Zusammenhang wird
auch gerne darauf verwiesen, dass es berechtigt, ja notwendig sei, den Feinden
der Toleranz mit Intoleranz entgegenzutreten.
Paul Ricoeur hat diesem
Gegensatz-Paar Toleranz / Intoleranz eine weitere Kategorie hinzugefügt, das
Nicht-Tolerierbare. Für ihn ist „allein das Intolerante nicht-tolerierbar.“
Diese Erweiterung hat den Vorteil, dass damit der Begriff Intoleranz als das
genaue Gegenteil von Toleranz erhalten bleibt.
Der italienische Philosoph
und große Vordenker der Menschenrechte, Norberto Bobbio, versucht das Wesen der
Toleranz weiter aufzuhellen, indem er eine positive von einer negativen
Toleranz und ebenso eine positive von einer negativen Intoleranz unterscheidet.
Es müsse klargestellt werden,
dass der Begriff Toleranz zwei Bedeutungen habe, eine positive und eine
negative, und das gleiche gelte auch für den Gegenbegriff der Intoleranz.
Während er in der positiven
Toleranz einen grundlegenden Wert für ein freies und friedliches Zusammenleben
sieht, verbindet er die negative Toleranz mit Nachsicht und Duldsamkeit
gegenüber dem Bösen, Irrtum oder Prinzipienlosigkeit, eine Vorliebe dafür,
seine Ruhe haben zu wollen, oder auch mit Blindheit gegenüber den Werten. Zudem
sei nur eine negativ verstandene Toleranz grenzenlos, und dies bringe am Ende
dann sogar die Idee der Toleranz überhaupt in Misskredit.
Die Verfechter der Intoleranz
bedienten sich nun des negativen Toleranzbegriffs, um die Toleranz insgesamt
abzulehnen.
Intoleranz im positiven Sinne
dagegen sei ein Synonym für Strenge, Konsequenz und Standhaftigkeit, und das
seien Qualitäten, die zu den Tugenden gehörten.
Während in den despotischen
Gesellschaften ein Mangel an Toleranz im positiven Sinne herrsche, litten
andererseits unsere permissiven demokratischen Gesellschaften an einem Übermaß
an Toleranz im negativen Sinne, einer Toleranz, die alles laufen und durchgehen
lasse.
In einer Betrachtung weist
Rainer Forst, Professor am Institut für Philosophie der Goethe-Universität
Frankfurt am Main, darauf hin, wie weit und unbestimmbar der Begriff wird, wenn
wir einmal das breite Spektrum von Motiven und Handlungen betrachten, die unter
der Bezeichnung „Toleranz“ zusammengefasst werden. Wir finden diesem Autor
zufolge die verschiedensten Auffassungen,was Toleranz überhaupt sei, nämlich :
Toleranz kann sowohl von
Organisationen wie von einzelnen Personen ausgeübt werden.
So ist die Unterscheidung
einer institutionellen oder staatlichen Toleranz von einer individuellen oder
persönlichen Toleranz ganz wesentlich. Entsprechend unterscheiden sich die
jeweiligen Motive und Gegebenheiten, welche die Entscheidungen und das Handeln
bestimmen und die daher auch zu unterschiedlichen Ergebnissen führen können.
Staatliches Toleranz-Verhalten
wird meist von der Staatsraison und von Nützlichkeitserwägungen bestimmt.Die Geschichte lehrt, dass auch die
Institution Kirche hiervon keine Ausnahme macht. Wo Staaten oder Institutionen
glauben, ihre Interessen, ihren Zusammenhalt oder auch nur den ‚status quo’
verteidigen zu müssen, findet jede Toleranz ein rasches Ende. Mit jedem Wechsel
der Politik geht daher in aller Regel auch ein Wechsel im Hinblick auf die
Toleranz einher.
Individuelles oder
persönliches Toleranzverhalten wird dagegen eher von Emotionen, dem Mitgefühl, „dem
Gewissen“ oder auch individuellen Einsichten gesteuert, Kategorien, welche dem
institutionellen Handeln fremd sind. Der Staat ist zu einem „überschießenden
Angebot menschlichen Wohlwollens“ nicht fähig.
Daher erhebt sich die Frage,
wie weit Institutionen jenseits von Nützlichkeitserwägun-gen überhaupt zur
Toleranz prädestiniert sind und ob nicht der Begriff Toleranz in einem moralischen
Sinne dem ethischen Handeln des Individuums vorbehalten bleiben muss.
Der Münchener Jurist Hans
Markus Heimann geht sogar so weit, die Forderung nach einem toleranten Staat
als einen Anachronismus zu bezeichnen.
Für den heutigen Verfassungsstaat
sei der Begriff Toleranz ein „aus traditioneller, gedanklicher Gewohnheitgewonnenes Klischee“, eine nicht näher
konkretisierte, formelhafte Wendung, was den Begriff in diesem Zusammenhang zu
einer „substanzlosen Hülle“ und zu einer „leeren Phrase“ werden ließe.
In der Tat kommt der Terminus
„Toleranz“ im Grundgesetz der Republik Deutschland an keiner Stelle vor.
Einander widersprechende
Wertungen, wie sie sich bei den Auseinandersetzungen um das Kopftuch, um das
Schächten oder um die Religionsfreiheit zeigten, müssten folglich klar einander
gegenübergestellt und die miteinander kollidierenden Grundrechte gegeneinander
abgewogen werden. Wo dem Staat, wie in Religionssachen, eine eigene Meinung
nicht gestattet sei, sei er neutral, nicht tolerant.
Die in der philosophischen
Diskussion vorzufindenden Ansätze, derartige Konflikte über das Instrumentarium
der Toleranz zu lösen, seien dagegen weniger überzeugend. Für die Entscheidung
religiös motivierter Problemlagen durch staatliches Handeln müsse ein anderes
Instrumentarium als der Toleranzgedanke herangezogen werden.
Im modernen Grundrechtsstaat
verbleibe für den Gedanken der Toleranz nur der private Bereich; der Anwendungsbereich
reduziere sich auf den einer bürgerlichen Verhaltenstugend.
* * *
Die Geschichte der
institutionellen Toleranz ist weitgehend eine Geschichte der konfessionellen Konflikte
im christlichen Europa.
Über Jahrhunderte hin gingen
immer wieder Reformbestrebungen aus der „una sancta ecclesia“ hervor, und die
Waldenserbewegung im 13. Jh. repräsentiert in diesem Kontext eine der frühen
Divergenzen.
Konfessionelle Spaltungen wurden
alsbald als eine Bedrohung der Einheit sowohl des Staates wie der Kirche
betrachtet und weltliche und kirchliche Interessen verbündeten sich
miteinander, um dem entgegenzuwirken.
Obwohl das religiöse Schisma
in Europa nie mehr überwunden werden konnte, hat sich in den meisten Ländern doch
eine einheitliche Nationalreligion erhalten, so in England, Frankreich,
Italien, Schweden und Spanien.
Dies gilt nicht für
Deutschland. Hier hat sich, begünstigt durch eine verspätete Staatsbildung und
durch die Tatsache, dass die miteinander streitenden Konfessionen etwa gleich
stark waren, nie mehr eine einheitliche Staatsreligion etabliert.
In Deutschland, wo die
Religionskriege nicht weniger blutig waren als andernorts und im
Dreißigjährigen Krieg gipfelten, war daher in einem stufenweisen Lernprozess
eine erzwungene Toleranz die unausweichliche Folge. Diese Toleranz war
keineswegs das Resultat politischer Weisheit und Friedensliebe oder kirchlicher
Rückbesinnung auf die Nächstenliebe als Fundament des Glaubens, sondern diese
gegenseitige Tolerierung wurde erzwungen durch die Erfahrung, dass man den
Gegner weder bekehren noch vernichten konnte.
Der Augsburger
Religionsfriede auf dem Reichstag von 1555 markiert einen auf solche Weise
zustanden gekommenen frühen Ausgangspunkt zu mehr religiöser Toleranz.
Diese Vereinbarung zwischen
König Ferdinand I. und den deutschen Reichsfürsten und Reichsstädten stellte
nach jahrzehntelangen religiösen Auseinandersetzungen den Versuch dar, blutige
Kämpfe wie in Frankreich zu vermeiden.
Die Kleinstaaterei in
Deutschland stand einem schrankenlosen, nationalen Konfessionalismus wie im Frankreich
Luwig’s XIV. entgegen.
Montaigne, Montesquieu,
Voltaire und Rousseau haben das Deutschland ihrer Zeit als Hort der Toleranz
geschätzt.
Aber der innerkirchliche
Konflikt war nicht zu lösen.
Man verständigte sich daher
darauf, dass es in jedem der vielen Territorialstaaten zwar nur eine Religion
geben solle, - „cuius regio, eius religio“, wer regiert, bestimmt die Religion
-, dass aber für das Reich insgesamt als oberster Grundsatz die Tolerierung des
Nebeneinander zu gelten habe. Das Ketzerrecht wurde aufgehoben und den
andersgläubigen Untertanen unter Belassung ihres Besitzes ein
Auswanderungsrecht eingeräumt. Hiervon machten die an die Scholle gebundenen
Bauern jedoch kaum Gebrauch.
Der Augsburger
Religionsfrieden war daher weder der Aufbruch zu einer umfassenden Toleranz in
Glaubensfragen, noch war er einem Toleranzgedanken geschuldet, wie er aus
skeptischen Zweifeln an der Erkennbarkeit des wahren Glaubens erwächst. Einem
solchen Gedanken begegnen wir erst an der Schwelle zum 19. Jh. in der
Ring-Parabel von Ephrahim Lessing..
Erreicht war ein erzwungener,
weltlicher Friede. Der geistliche Kampf ging jedoch weiter und mündete bereits
nach etwa 60 Jahren in den Dreißigjährigen Krieg von 1618 – 1648, in dem sich
vor allem auch europäische Machtinteressen entluden.
Als es endlich 1648 zum
Westfälischen Frieden kam, wurden die Augsburger Vereinbarungen bestätigt und
erweitert. So wurden neben den Lutheranern und den Katholiken nun auch die
Calvinisten anerkannt. Und die Landesherren wurden ermuntert, es geduldig zu
ertragen - „patienter tolerentur“ -, wenn jemand zu einer anderen Religion
wechseln wolle.
Dieser Beginn einer
religiösen Toleranz wurde im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts zur allgemeinen
Glaubens- und Gewissensfreiheit erweitert.
In Deutschland wurde dann die
Territorialisierung der Konfessionen durch die gewaltigen Wanderungsbewegungen
nach dem Ende des II. Weltkrieges fast vollständig aufgehoben.
* * *
Man kann sich abschließend
die Frage stellen, woher unsere Fähigkeit, Toleranz, und damit verwandt,
Altruismus zu üben, überhaupt kommt und wie sie sich erklärt.
Es lässt sich wohl kaum
bestreiten, dass auch schon unsere Vorfahren in bestimmten Situationen tolerant
sein konnten. Und auch deren Vorfahren waren nicht bar jeder Toleranz. Hierbei
denke ich schon in Kategorien von 20 000 und 30 000 Jahren.
Nun halte ich dafür, dass
eine rein anthropomorphe Betrachtungsweise es uns verwehren würde,die frühen, wenn auch noch sehr schwachen
Wurzeln unserer Fähigkeit zu Toleranz und Altruismus zu erkennen.
So berichteten kürzlich
Forscher am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig
davon, dass Schimpansen ihren Artgenossen und sogar ihnen unbekannten Menschen,
spontan und selbstlos Hilfe leisten, auch wenn sie dabei keinerlei Aussicht auf
eine Belohnung haben. Auch für den renommierten Primatenforscher Frans de Waals
steht seit langem außer Frage, dass Schimpansen zu Anteilnahme und
altruistischem Handeln fähig sind, beides Voraussetzungen für ein tolerantes
Verhalten.
Wir Menschen sind vor allem
soziale Wesen und nicht nur unsere gesamte Kultur und alle unsere
Errungenschaften gründen sich hierauf, sondern selbst das Überleben wäre uns
als isoliertes Individuum weder physisch noch psychisch möglich.
Man datiert sogar die
Menschwerdung auf den Tag zurück, an dem es einem unserer Vorfahren zum ersten
Mal gelang, - und dies ist ein Maß für
die Höhe der Geistesentwicklung-, sich
in die Gedanken und Absichten, und vielleicht sogar in die Gefühle seines
Gegenübers hineinzuversetzen.
Dies scheint in der Tat eine
entscheidende Komponente für die Entwicklung von Toleranz zu sein.
Zu den uns angeborenen
Eigenschaften gehört eine starke und wahrscheinlich zunächst überlebenswichtige
Neigung zur Aggressivität. Als Gegengewicht und gewissermaßen zum Ausgleich
wurde uns jedoch gleichzeitig die Möglichkeit zu tolerantem Verhalten als Erbe
mitgegeben.
Wir müssen daher erkennen,
dass die Fähigkeit, Toleranz üben zu können, eine Voraussetzung und eine
Vorbedingung für unsere eigene Existenz ist.