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       Kritik an Dogmatismus und Ideologien

 

 

 

Geistesfreiheit hat sich gegenüber jeder Art von dogmatischen, autoritären oder totalitären Denkmustern zu bewähren.

Andernfalls ist eine Verteidigung der persönlichen Grundrechte nicht möglich.


 

Martin Münch
Beendet das Verbrechen der falschen Toleranz!

(Als Replik auf die sogenannte „Woche der Toleranz“ geeigneter Vorabdruck aus dem Buch
RELIGION. Das Kapitalverbrechen an der Menschlichkeit“, mit freundlicher Genehmigung des Hintergrund-Verlages Osnabrück)

Wir beginnen diese Abhandlung mit dem Zitieren einer Rede, die Marion Gräfin Dönhoff 1995 unter dem Titel “Seid tolerant” im polnischen Marion-Dönhoff­-Gymnasium vor Abiturienten gehalten hat. Im für pastorale und linksliberale Kreise üblichen, dekretierenden Duktus schreibt sie:

“Liebe Freunde, ich frage mich, was kann ich euch, die ihr heute die Schule verlasst, auf euren Lebensweg mitgeben. Mein Leben hat sich in einem katastrophenreichen Jahrhundert abgespielt, wie es sich sicherlich nicht wiederholen wird: zwei Weltkriege, der Holocaust und dann Hitler und Stalin. Ihr werdet es im neuen Jahrhundert besser haben. Aber es wird auch von euch abhängen, wie sich die Umstände gestalten. Denn die Umstände ­ positiv oder negativ. Glück oder Unheil ­ fallen nicht zufällig vom Himmel, sondern sind meist eine Reaktion auf Taten der Bürger und deren geistige Einstellung. Insofern hat jeder einzelne von uns eine große Verantwortung. Wir dürfen also nicht meinen, es genüge, wenn jeder für sich selbst sorgt, weil ja der Staat für das Ganze aufkommen muß ­ nein, wir alle sind für das Ganze verantwortlich. Vielleicht werden Sie fragen, was mir als geistige Einstellung für die Zukunft am wichtigsten erscheint. Ich denke, ihr müsst vor allem versuchen, tolerant zu sein. Gewiss, man könnte eine lange Liste aufstellen, aber wie lang sie auch sein mag, Toleranz muß jedenfalls ganz oben stehen, denn wer wirklich tolerant ist, der wird nicht in Hass verfallen und darum auch nicht versucht sein Gewalt zu üben. Er wird die Meinung des anderen respektieren, auch wenn sie seiner eigenen widerspricht, er wird den Ausländer und den ethnisch anderen nicht diskriminieren, und er wird ­ und das Ist sehr wichtig ­ keine neuen Feindbilder erfinden, mir denen der Gegner verunglimpft wird. Liebe Freunde, wenn es Ihnen gelingt, wirklich tolerant zu sein. dann haben Sie viel für Ihr Vaterland geleistet.”

Soweit diese wirklichkeitsverfehlende Predigt einer völlig überschätzten, und durch ihre jahrzehntelange Herausgebertätigkeit des Islamkritiker verunglimpfenden Blattes “Die Zeit” staatszersetzend wirkenden Dame, die beklagenswerter Weise nur ein fatales Beispiel unter vielen ist. Wir wollen Frau Dönhoff nicht vorwerfen, dass ihr Ton banal daherkommt und in einer infantilisierenden Tantensprache abgefasst ist. Offensichtlich traute sie jungen Abiturienten nicht mehr Intelligenz, Intellekt und Verständniskapazität zu. Wenn wir ihr dies noch durchgehen lassen, so kommen wir allerdings schon im zweiten Satz zu einer Aussage, bei der sich der auch nur halbwegs über die Weltlage informierte Bürger endgültig verwundert die Augen reibt: Da ist von einem “katastrophenreichen Jahrhundert” die Rede, “wie es sich sicherlich nicht wiederholen wird". Auch zu Dönhoffs Lebzeiten war die heraufziehende Katastrophe, die sich durch das Vordringen und Einnistendes des Islam in Europa und auf der ganzen Welt anbahnt, schon zu erahnen. Ein halbwegs redlicher Intellektueller, der sich nicht alle seine Wahrnehmungsorgane durch tröstende und verharmlosende Ideologien der Selbstberuhigung verstopft hat, konnte bereits zu Lebzeiten der Autorin erahnen, was auf uns derzeit zurollt und in den nächsten Jahren und Jahrzehnten als Schicksalsfrage beschäftigen wird.

Es hat nicht erst eines brillanten und zuspitzenden Geistes wie Udo Ulfkotte bedurft, um für die seriös prognostizierende Feststellung, dass die schrecklichen Kriege des 20. Jahrhunderts nur ein Vorgeschmack davon gewesen sein werden, was uns an Grauen und Entsetzen im 21. Jahrhundert erwartet, genügend schlagkräftige und eindeutige Belege zu finden. Es gab diese auch schon zu den noch nicht so lange verblichenen Zeiten von Gräfin Dönhoff, und jeder zu aufrechter Bestandsaufnahme bereite Vernunftmensch hätte diese zur Kenntnis nehmen können. Wir übergehen zugunsten der Autorin huldvoll logische Fehler in der Reihenfolge bei ihrer Auflistung “zwei Weltkriege, der Holocaust und dann Hitler und Stalin” um ein unlauteres Stilmittel aufzudecken, das darin besteht, mit allgemein anerkannten Wahrheiten zunächst beifälliges Nicken zu entlocken, um die anschliessenden Manipulationen bei weit geöffneter Tür des Opfers effizient und möglichst unbemerkt durchführen zu können [1]:

“Denn die Umstände ­ positiv oder negativ. Glück oder Unheil ­ fallen nicht zufällig vom Himmel, sondern sind meist eine Reaktion auf Taten der Bürger und deren geistige Einstellung. Insofern hat jeder einzelne von uns eine große Verantwortung.” Zwar hat man es in politisch links orientierten Kreisen bekanntlich nicht all zu sehr mit der eigenen Verantwortung, sehr gerne ist der andere Schuld, wenn es einem nicht besonders gut geht: der Unternehmer, der Staat, überhaupt jeder, der sich nicht so verhält, wie man es gerne hätte. Und auch die konservativen Kreise stehen dem Phänomen der Verantwortungsverweigerung in anderen Feldern kaum nach, auch bei diesen ist gerne der Andere schuld: Der untreue Ehemann oder die untreue Ehefrau für die eigenen je nach Sozialisation ungünstigen oder verheerenden Gefühle, der Atheist für die Zersetzung der sogenannten “gesellschaftlichen Werte”, der Partner, der sich nicht so verhält wie gewünscht, für Negativempfindungen etc. Aber indem die Autorin nun zunächst eine so artig­ wohlfeile Selbstverantwortung skizziert, wird sie allen linksliberalen Hörern schmeicheln und mit solch zahmen, nicht hinterfragenden Worten, die nichts kosten und jederzeit wieder einkassiert werden können, Konservative und selbst Linke auf ihrer Seite haben. Dönhoff setzt also ein reflexhaftes Kopfnicken in Gang, indem sie ­- hier plötzlich wieder stilsicher ­darauf setzt, dass dies noch andauert, sobald sie beginnt, ihr Bestiarium auszupacken.

Werfen wir einen kurzen Blick auf die Rampe, die unmittelbar vor dem Öffnen den vermeintlichen Selbstverantwortungs-Teil abschließt: Nicht der Staat muss “für das Ganze aufkommen” ­- "nein, wir alle sind für das Ganze verantwortlich.” Das wären wir womöglich in der Tat gerne und würden es begrüßen, dazu beitragen zu können, dass wir für das Ganze mitverantwortlich zeichnen können. Dazu würden in Deutschland wählbare Parteien gehören, die sich der größten Bedrohung unserer Demokratie und unseres Rechtsstaates seit ihrer Gründung im Jahr 1949 erfolgreich entgegenzustemmen in der Lage und willens sind. Durch die bekannten Totschlag-Argumente Islamkritik sei Ausländerfeindlichkeit, die sei in jedem Falle illegitim und verboten, durch die Diffamierung als “rechts” bis hin zur beruflichen Totalvernichtung von allem, was sich nicht millimetergenau an die im Rahmen der politisch korrekten Sprachzensur erlaubten Vorgaben hielt, und durch die damit einhergehende Dämonisierung von freier und unvoreingenommener Bestandsaufnahme, konnten sich keine Parteien im mittleren, bürgerlichen Spektrum bilden, die die Verteidigung des Rechtsstaates hätten erfolgreich gegen ihre erbitterten Gegner vorantreiben können. Es gab stattdessen einen vor-installierten intellektuellen wie faktischen Beißhemmungs­-Reflex, der nicht nur entsprechende Parteien verhinderte, sondern auch alle anderen Möglichkeiten, “für das Ganze verantwortlich” zu werden und an der politischen Willensbildung tatsächlich in einer Unterschied machenden Weise mitwirken zu können.

“Ihr müsst vor allem versuchen, tolerant zu sein!” Da ist er, der Imperativ. Wir müssen “tolerant” sein. Vielleicht gab es wirklich eine Zeit, in der das Wort “Toleranz” noch gesamtgesellschaftlich einen guten Klang hatte? Das Jahrzehnt von 1960­-1970 möglicherweise? Oder das von 1970­-1980? Wenn jemand, der eigentlich qua Intellekt dazu in der Lage sein müsste, die Dialektik des Wortes “Toleranz” zu kennen und zu verarbeiten, dieses hochproblematische Wort in solch verderblich naiver oder böswillig manipulativer Weise benutzt, dann kennt er entweder die Dialektik der Toleranz wirklich nicht (zugegeben: Henryk M. Broders scharfzüngige und brillante Toleranz­Analyse ist erst nach ihrem Tode erschienen[2] ­- sie ist indes glücklicherweise nicht das einzige Werk, das Intoleranz im heutigen gesellschaftlichen Kontext zur Bürgerpflicht erhebt), er will sie nach Vogel­-Strauß­-Manier ausblenden, oder aber er will sie, mittels einer aus Motiven militanter Ideologieverbreitung erwachsenden arglistigen Täuschung, wider besseres Wissen unterdrücken. Es steht mir nicht an, über die Motive der Autorin zu spekulieren, denn für die Diagnose ist es ohne Belang, ob ihr gegenüber der Vorwurf der unverantwortlichen Naivität oder der strategischen Hinterhältigkeit zu machen ist: Es ist in höchstem Maße intellektuell unredlich, so zu sprechen, und dem Publikum einen solch selbstzerstörerischen Sand in die Augen zu streuen, der jede gesunden Selbsterhaltungsimpulse außer Kraft setzt. Wir kommen später darauf zurück.

Wie geht es im Text des Verhängnisses weiter? “Wer wirklich tolerant ist,” so fabuliert Dönhoff weiter in kindlich daherkommendem Schönsprech, “der wird nicht in Hass verfallen und darum auch nicht versucht sein Gewalt zu üben.” Welches Maß an Toleranz hätte sich die Gräfin denn beispielsweise gegenüber Hitler gewünscht? Waren das alles ‘ganz böse Menschen’, die 1943 die Normandie eroberten, dort ganz sicher Gewalt übten, gewiss auch dem Hass verfielen, wenn deutsche Soldaten einen oder viele der ihren ermordet hatten und nach unzähligen Opfern Europa von dem Tyrannen befreiten?

Hätte Dönhoffs wohlfeile, mit Verlaub ärmlich daher gesprochene Toleranz die Hitler­-Barbarei beenden können? Wäre das ohne die hunderttausenden Flugzeuge, Panzer, Gewehre und Menschen gegangen, die zu sterben bereit waren, um die Welt vom Monster in Menschengestalt Hitler zu befreien? Wie viel historischen Weitblick hat die Dame eigentlich, um implizit solche Thesen aufzustellen sich meinen erdreisten zu dürfen? Also, nur schön tolerant bleiben, dann wird schon alles gut? Aber, Obacht, es geht noch weiter: “Er wird die Meinung des anderen respektieren, auch wenn sie seiner eigenen widerspricht.” Meint sie dieses Verschaukeln jeder verantwortungsvollen Intellektualität wirklich ernst? Es ist zu fürchten: ja. Kein differenzierendes Wort darüber, was eine “Meinung” ist. Ist das Leugnen des Holocaust eine “Meinung”, die sie zu respektieren verlangt, obwohl sie der eigenen widerspricht? Oder vielleicht das Hakenkreuz, wenn es nur eine Meinung und kein Bekenntnis ist? Wird sie die “Meinung” des früheren iranischen Präsidenten Mahmut Ahmadinedschad respektieren, dass Israel von der Landkarte getilgt werden müsse, obwohl sie der eigenen widerspricht? Sind die eindeutigen Aufforderungen des Korans an die Muslime ”Und wenn ihr die Ungläubigen trefft, dann herunter mit dem Haupt, bis ihr ein Gemetzel unter ihnen angerichtet habt!” (Sure 47,4) oder ”erschlagt sie (die Ungläubigen), wo immer ihr auf sie stoßt.” (Sure 2,191) auch eine Meinung, die es zu respektieren gilt? Egal ob Bekenntnis zur Kriminalität, Aufforderung zur Kriminalität ­ alles nur “Meinungen” die respektiert zu werden haben?

Dönhoff schreckt auch vor den letzten Totschlagkeulen zur Selbstentmachtung nicht zurück, im furiosen Finale vor dem sanft ermatteten Epilog kommt sie auf den eigentlichen Punkt und doziert: “er wird den Ausländer und den ethnisch anderen nicht diskriminieren, und er wird ­ und das ist sehr wichtig ­ keine neuen Feindbilder erfinden, mit denen der Gegner verunglimpft wird.”

Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man über so viel ­- allenthalben gar hochgejubelte - Simplizität und Unvernunft nur lachen. Nach dieser verqueren Logik kommt man von der Judenfeindlichkeit der Nazis als altem, legitimem Feindbild und Wurzel allen Übels per abstruser Analogie und Gleichsetzung dahin, dass ein neues Feindbild nur neues und gleichartiges Übel schaffen würde. Welche neuen Feindbilder sollen, respektive dürfen nach Auffassung der Autorin nun nicht geschaffen werden? Die Antwort hat sie ihrem Wochenblatt unerbittlich einimplementiert. Noch immer wird in jedem Artikel zum Thema eindringlich vor dem “Feindbild Islam” gewarnt und es stellt sich wieder die Frage, ab wann genau ein Feindbild eigentlich selbst im Dönhoff’schen Sinne legitim ist?

Waren Hitler und Stalin legitime Feindbilder? Oder womöglich gar legitime Feinde einer lebenswerten und menschenwürdigen Gesellschaft, für die die Gräfin sich mit ihren verhängnisvoll bumerangartig selbstzerstörerischen Mitteln einsetzte? Offenbar, denn sonst hätte sie diese Zertreter jeden Anfluges einer humanen Gesellschaft nicht in ihrer Negativaufzählung genannt. Doch noch einmal: Ab wann wird jemand vom Feindbild zum realen ­- und legitimerweise im Rahmen der eigenen Beachtung der Menschenrechte zu bekämpfenden ­- Feind? Nach der Bekundung, jeden, der nicht seiner ideologischen Auffassung ist, töten zu wollen? Nach dem ersten bestialisch enthaupteten Unschuldigen? Nach hunderten Toten? Nach hunderttausenden? Ab wann darf der Fanatiker, der Gegner, der Feind legitimer Weise kritisiert oder gar geschmäht werden? Wann muss er das? Ist es eine unzulässige Verunglimpfung, über Hitler und Stalin zu sagen, jeder von beiden sei einer der größten Menschenschlächter und brutalsten Gegenpole jeder Menschlichkeit gewesen? Über Mao und Pol Pot? Über Faschismus und Kommunismus? Über Bin Laden? Noch nicht genug Tote, sagen Sie? Keine Angst, die kommen noch. Allein seit dem 11. September 2001 stieg die Zahl der Anschläge des islamischen Terrorismus mit jeweils teilweise Dutzenden von Toten, wie nicht allen Diskussionsteilnehmern bekannt ist, um weitere weit über 20.000 an[3].

Zurück zur Dialektik der Toleranz. Toleranz wird, wenn sie in unzulässiger, undifferenzierter Weise verabsolutiert wird, leicht zur selbstmörderischen Übertoleranz oder gar zum Verbrechen durch Duldung einer Menschenrechtsverletzung. Toleranz gegenüber einem Element in Menschengestalt, das mit religiöser Rückendeckung die untreue Ehefrau abschlachtet wie ein Stück Vieh, ist Beihilfe zum Mord durch unterlassene Hilfeleistung. Toleranz gegenüber einer Ideologie, die den nicht nur begründenden sondern all diese bestialischen Brutalitäten sogar fordernden Nährboden abgibt, ist ein Verbrechen.

Oder, wie es der Berliner Sozialwissenschaftler Manfred Kleine­Hartlage in gediegenen Worten ausdrückt: “Die Tolerierung von Ausnahmen von der Regel und Abweichungen von der Norm ist nur so lange unproblematisch, wie dadurch die Regel bestätigt und eben nicht beseitigt wird.” [4]

All dies könnte die Gräfin sogar gewusst haben, wenn sie nicht in ideologischer Verblendung sich auf die Seite der Toleranz-Verabsolutierer geschlagen hätte. Sie gehört damit zu einem großen Kartell des Interpretations­-Totalitarismus, der für seine Forderung der Definitionshoheit von Toleranz in der absolut gesetzten Form gesellschaftliche Geltung beansprucht, ganz ähnlich wie für die in den anderen Kapiteln behandelten, nicht in totalitär verabsolutierter Form hinnehmbaren Verboten von “Diskriminierung” oder “Ausländerfeindlichkeit”. Es geht quer durch alle Schichten und umfasst christliche Gesundbeter ebenso wie z.B. Journalisten, Politiker, Juristen und Meinungsbilder jedwelcher Couleur.

Dabei ist ein Kernproblem nicht nur die Verabsolutierung von Toleranz, sondern insbesondere auch ihre seitdem auf dieser aufbauende Installierung als Gesetzes-Norm: Die Wirtschaftswoche schreibt: “Toleranz, abgeleitet vom lateinischen Verb tolerare (erdulden), war jahrhundertelang eine Forderung gegen den Anspruch autoritärer Herrschaft, ihre eigenen Normen und meist religiösen Wertvorstellungen durchzusetzen. Toleranz ist ohne Zweifel die Voraussetzung dafür, dass eine Gesellschaft frei genannt werden kann. (…) Toleranz war einmal ein Recht, das gegen den Staat oder herrschende Mehrheiten erstritten wurde. (…) Die aktuelle Toleranz kommt von oben, [als Imperativ] von den Regierungen.” [5]

Das ursprüngliche Ziel von Toleranz als einem freiheitsermöglichenden und ­fördernden Wert wird in sein Gegenteil verkehrt: “Toleranz ist eigentlich eine Haltung, die davon ausgeht, dass Aussagen über Menschen nicht ‘einfach richtig’ sind, sondern verschiedene Ansichten geduldet werden sollten.
Doch gerade diejenigen, die heute am lautesten Toleranz fordern, zeigen sich oft erstaunlich intolerant gegen andere Menschenbilder als ihre eigenen. Wer leise Zweifel an der Gender­-Theorie von der Konstruktion der Geschlechter äußert, ist ein ‘Antifeminist’ (und damit nach dem ‘National Statute for the Promotion of Tolerance’ in eine Reihe mit Antisemiten zu stellen) und wer nicht findet, dass der Lebensbund von Schwulen und Lesben steuerlich begünstigt werden sollte, gerät schnell in den Ruf ‘homophob’ zu sein. (...) Viele Menschen empfinden die dauernde Aufforderung zur Toleranz in Lehrplänen und Gesetzen[6] nicht als befreiend, sondern fühlen sich bedrängt.”
[7] Und wie inkonsistent eine so gestaltete ­ anfangs naive und heute zunehmende diktatorische ­ Toleranzpolitik ist, zeigt sich an einem verräterischen Faktum: “Es gibt nämlich sehr viele Menschengruppen, für die das Toleranzgebot offenbar nicht gilt. Und die darf man auch unter dem Banner der Toleranz mit bestem Gewissen verächtlich machen (...) [z.B.] einen Bundeswehrsoldat” [8].

Zurück zum Geltungsbereich der Toleranz. Man könnte nun hoffen, dass, wenn schon nicht im (euphemistisch) so genannten christlich­aufgeklärten Spektrum, wenigstens in den freigeistigen Organisationen das entsprechende Problembewusstsein vorhanden wäre. Weit gefehlt. Auch der bereits zitierte “Internationale Bund Konfessionsloser und Atheisten” (IBKA) hat keinen Toleranzbegrenzer in seinen Statuten. Im Umgang mit dem Islam läuft der Toleranzmotor also auch dort heiß. Nicht anders bei anderen freigeistigen Organisationen wie der Humanistischen Union etc.

Der bayerische Bund für Geistesfreiheit hat in seinen Statuten der Dialektik der Toleranz zumindest theoretisch Rechnung getragen. In Artikel 13 heißt es dort: “Die Bereitschaft zur Verständigung ist die Grundlage, das Miteinander auf der Erde zu garantieren. Humanistische Lebensauffassung ist gekennzeichnet von Toleranz gegenüber allen Menschen, anderen Denk­ und Lebensauffassungen und zu Religionen. Toleranz trifft ihrerseits auf Grenzen, wenn Menschenrechte verletzt bzw. wenn Positionen der Intoleranz vertreten werden.” Mehr als in diesen beiden Sätzen ist zum Thema Toleranz in der Tat kaum zu sagen. Der notwendige und begrüßenswerte Teil von Toleranz ist dort ebenso aufgeführt wie deren Geltungsbereich. Beklagenswert ist an alledem lediglich, dass der BfG Bayern sich an seine eigenen Grundsätze in der Bewertung des Islam nicht hält.

Das Gegenteil einer verabsolutierten Toleranz mit ihren Möglichkeiten des Scheiterns durch fehlgeleitete “Übertoleranz”, mit der man sich zum Komplizen des Verbrechens macht, ist eine gesunde Toleranz, die mit einem Geltungsbereich ausgestattet ist. Dieser Geltungsbereich wird verlassen, wenn Menschenrechte verletzt bzw. wenn Positionen der Intoleranz vertreten werden. Außerhalb dieses Geltungsbereiches darf es folglich keine Toleranz geben. Außerhalb dieses Geltungsbereiches geübte Toleranz wird dann vielmehr zur Übeltat der unterlassenen Hilfeleistung, der Komplizenschaft mit dem Verbrechen oder der Duldung von Menschenrechtsverletzungen, wo deren Verhinderung möglich wäre.[9]

Der Islam ist sowohl in seinen im Koran und in den Hadithen niedergelegten Statuten als auch in seiner Ausführung, wo immer diese Statuten befolgt und umgesetzt werden, außerhalb des Geltungsbereiches von Toleranz angesiedelt. Er fordert an über 200 Stellen im Koran zu Menschenrechtsverletzungen auf (siehe „Korananalyse“, 2002) und vertritt konsequent das Prinzip der Intoleranz. Islam bedeutet “Unterwerfung” und alles, was sich den islamischen Prinzipien nicht fügt, ist zu unterwerfen und im Falle des Nicht­-Übertrittes zu töten. Der Dhimmi­-Status für Christen und Juden, die man im Falle von Zahlung einer Sondersteuer und der Akzeptanz von an anderer Stelle beschriebenen Demütigungen leben lässt, macht hier keine Ausnahme, denn die islamischen Gesetze sind in diesem Falle dennoch zu respektieren. Der Islam kann somit für einen Freigeist, der die Dialektik der Toleranz verstanden und durchleuchtet hat, a priori und strukturell nicht in den Geltungsbereich von Toleranz fallen. Eben so wenig können die aktuellen totalitären politischen Gesetze auf nationaler und EU­Ebene, die das Ende der freien Meinungsäußerung und der Religionskritik besiegeln, unter den Geltungsbereich von Toleranz fallen.

Sie sind aufklärend und politisch zu bekämpfen, wollen wir als freier Westen nicht in wenigen Jahrzehnten vor die allzu bekannte Wahl “Islam und Unterwerfung unter die Scharia ­- oder Tod” gestellt werden.

Bis diese dramatische Diagnose sich auch in weiteren Kreisen der Gesellschaft durchgesetzt hat, könnte es noch eine Weile dauern. Dann allerdings könnte es möglicherweise zu spät sein, ihr noch eine Therapie folgen zu lassen, die, um wirksam zu sein, im Rahmen der unveräußerlichen und individuellen Menschenrechte durchgeführt werden kann.

 

[1] Auch Pfarrer lullen ihr Publikum ein, indem sie ihm zunächst auf der sogenannten “Ja­-Straße” entgegen kommen, bevor die allfällige Drohkeule mit christlicher „Liebe” oder der „Hölle“ ausgepackt wird"

[2] Henryk M. Broder, Kritik der reinen Toleranz, Berlin 2008

[3] Stand 2013, vgl. hierzu auch das spätere Kapitel “Islamophobie und grundsätzliche Erwägungen zum Thema Geltungsbereich”

[4] Manfred Kleine­-Hartlage, Die liberale Gesellschaft und ihr Ende, Schnellroda 2013

[5] http://www.wiwo.de/erfolg/trends/gesellschaftliche-debatte-die-intoleranz-der-toleranten/9349560.html

[6] Es sollte im Laufe dieser Gesamtabhandlung deutlich geworden sein, dass wir eine Haltung der sexuellen Selbstbestimmung vertreten, die Lebensfreude fördernd, eigenverantwortlich und in fairer Gegenseitigkeit gelebt wird, und deren Überspannung und Verzerrung Richtung Gender-Ideologie, Feminismus (insofern männerfeindlich) oder ideologisch­-dogmatische Regierungsvorgaben wir ablehnen: “Nordrhein­-Westfalen steht für eine weltoffene, zukunftsgerichtete Kultur, für Vielfalt und Toleranz. Dennoch gilt Heterosexualität in vielen Köpfen nach wie vor als das Maß der Dinge (...) Im bevölkerungsreichsten Bundesland leben schließlich die meisten Menschen, die eine andere sexuelle Identität haben. Deshalb versteht die Landesregierung die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung und die Wertschätzung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, Transgender und Intersexuellen sowie ihren Angehörigen als zentrale Aufgabe (=LSBTTI).” (Informationen aus dem Ministerium, Juli 2014 “Emanzipation/Sexuelle Identität und Vielfalt” des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter NRW)

[7] http://www.wiwo.de/erfolg/trends/gesellschaftliche-debatte-latente-unterstellung-gegen-arbeitgeber/9349560-2.html

[8] http://www.wiwo.de/erfolg/trends/gesellschaftliche-debatte-wo-die-neue-toleranz-aufhoert/9349560-3.html. Auch die Deutsche Bundesbahn oder „Blondinen“ etwa müssen noch immer – und das ungerechtfertigterweise - für Witze herhalten.

[9] Dass der BfG Bayern in der Praxis im Umgang mit dem Islam auf Betreiben von organisationsinternen Aktivisten des sogenannten “Kampfes gegen rechts” seine eigenen Prinzipien missachtet, steht auf einem anderen und weniger rühmlichen Blatt (www.bfg­-bayern.de)

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Freiheit wovon – Freiheit wozu?

Wenn ich mir selbst und den Erfahrungen in meinem Freundeskreis trauen kann, ist das Bedürfnis nach Sicherheit einer der Triebfedern menschlichen Handelns. Und wenn ich dann in mein Inneres höre, rauschen die Sicherheitsgedanken wie ein Basso Continuo durch den Tag, wie die Wellen am Ostseestrand. Ich bin also ein ganz normaler Mensch, nach der Maslowschen Bedürfnispyramide befinde ich mich auf Stufe zwei, gleich über den körperlichen Bedürfnissen, die wohl alle befriedigt sind und noch unter den Bedürfnissen nach Zuwendung&Zugehörigkeit, noch unter dem Wunsch nach Anerkennung und dem nach Selbstverwirklichung, der Spitze der Pyramide.

Mein Denken und Trachten kreist um Sicherheit wie die Motten ums Licht und findet Wege und Mittel, mir Gefühle des Sicher-Seins zu verschaffen. Dann entspanne ich. Dann werden die Sinne wieder offen für Klänge, Gerüche, Empfindungen. Kreativität fließt in mein Leben, dazu Humor, Neugierde, Genußfähigkeit und Kontemplation. Doch nur solange ich nicht um meine Sicherheit fürchten muß. Dann erlebe ich die ewig gleichen, ausgetretenen Pfade von „Wie vermeide ich…? Wie erreiche ich…? Wie schaffe ich…?“. Oft meine ganze Kraft absorbierend, oft Zähigkeit und Aggression freisetzend. Selten nur Phantasie und Einfallsreichtum, denn der Ursprung dieses Karussells liegt im Mangel, in der Bedrohung, letztendlich in der Angst vor dem finalen Schluß, dem eigenen Tod.

Gelegentlich wird mir der Aufwand bewußt, den ich um meine Absicherung betreibe. Dann sehe ich, wie wertvoll mir mein erfülltes Bedürfnis nach Sicherheit sein muß. Ich beurteile das nicht. Es ist weder gut noch schlecht, weder richtig noch falsch. Es ist Aufwand, den ich betreibe und allem Anschein nach steht dieser Aufwand in Verhältnis zu der Stärke meines Sicherheitsverlangens, sonst würde ich es intuitiv anders machen. Um zu erkennen, was ich dazu brauche, was mich schützt, was mich bedroht, was mir hilft, was mir schadet, was mich unterstützt, was mich schwächt, was mich stärkt, was mir Wunden schlägt, was mich weiterleben läßt, was mich tötet, erstelle ich in meinem Geiste ein Buch mit dem Titel „Wie die Welt zu beurteilen ist“. Dieses Buch hat schon manche vollgeschriebene Seite und ist ein fortlaufendes Werk. Unterhalb eines jeden Abschnitts finde ich viele Striche. Diese entstehen, wenn ich wieder einmal etwas erlebe, was die Aussagen und Beurteilungen dieses Abschnitts bestätigt, belegt, beweist. So werden die Aussagen bald zu erprobten Erfahrungswerten, um irgendwann unmerklich den Status „Wahrheit“ zu erreichen. Mit diesem Buch in der Hand und seinen Beurteilungen im Kopf fühle ich mich wohler, die Weiterführung wird bald zur lebensbegleitenden Aufgabe.

Und so sehr dieses Buch mir auch ein wohliges Gefühl der Sicherheit vermittelt, vereitelt es ein unbefangenes Bestaunen von Erfahrungen, Erlebnissen. Mit dem Erwachsenwerden gehen die großen Augen eines Knaben, dem der Mund offensteht, oft verloren. Irgendwann erlaubt dieses Buch nur noch wenigen Erfahrungen, unmittelbar erlebt zu werden. Das Gefühl von Sicherheit hat seinen Preis. Es bedeutet Verlust des Gefühles von Lebendigsein und Spontaneität. Manchmal geht sogar die Möglichkeit verloren, mit Menschen in engen emotionalen Kontakt zu treten. Zu sehr beurteile ich mein Gegenüber, statt die Begegnung, den Menschen zu erleben.

Ich kenne mein eigenes Bedürfnis nach Sicherheit und weiß, was ich dafür zu tun bereit bin. Ich habe erlebt, was der Preis dafür ist und habe ihn bezahlt. In den letzten Jahren folge ich nun dem Weg zurück zu einem unmittelbaren Erleben, ungefiltert, unbeurteilt. Dann schaue ich, welche Eindrücke, Bilder, Erinnerungen wach werden. Und ich lerne meinen Verstand dazuzunehmen, als weitere Komponente des Erfahrens & Verarbeitens. Dies ist kein Weg zurück zu den Kinderaugen, sondern ein Weg, der auch Knabenaugen umfaßt, auch Erwachsenenverstand und auch männliche Willenskraft. Immer wieder stoße ich dabei auf Hindernisse, in dieser Weise meine Umwelt zu erfahren. Und diese beginnen in meinem Denken! Denn dort stoße ich auf mein oben beschriebenes dickes Buch, das Buch namens „Gesammelte Erfahrungen, Urteile und Bestätigungen“, das mir das Leben soviel sicherer und damit angenehmer machen sollte. Und ich sehe, wie in mir und überall um mich herum die Augen getrübt sind. Ohren nehmen gewisse Frequenzbereiche nicht mehr wahr, bestimmte Speisen werden gemieden, Regen als „schlechtes Wetter“ empfunden und den nackten Boden zu fühlen durch Schuhwerk umgangen. Wenn sich die inneren Urteile verdichten, entsteht daraus ein besonderes Kapitel mit eigener Überschrift. Statt Überschrift könnte auch „Ideologie“ passen. Unter jeder Ideologie befinden sich jetzt die einsortierten Erfahrungen,Urteile und Bestätigungen.

Und die immer gleichen Abteilungen:

1. So sah das Paradies aus

2. So haben wir durch das Böse das Paradies verloren (durch den Feind, Übeltäter, Verderber, Verschmutzer, Vergifter…)

3. So erlangen wir es wieder

Haben wir diese drei Abteilungen zusammen, können wir sicher sein, daß wieder mal eine neue Ideologie geboren ist. Sie erleichtert das Leben, weil die Unterscheidung von nützlich/schädlich, unterstützend/bedrohlich, also Freund/Feind einfacher wird und so mein Überleben in meiner Umgebung sichert. In jeder Ideologie finden wir irgendwann auch Ableitungen, Extrapolationen ins Unbekannte: „Wenn es so ist wie eben beschrieben, dann bedeutet es, daß…“. Das sind die Konsequenzen aus meiner Ideologie. Überall sehe ich die Konsequenzen von Ideologien im Umgang der Menschen. Die Offensichtlichen traut sich schon niemand mehr in den Mund zu nehmen: Die Herrschaft der Arbeiterklasse, Freudsche Psychoanalytik, Feminismus. Salonfähig war bis vor kurzem allein die Steigerung des Shareholder-Value, also Gewinnmaximierung. Doch auch dessen Stern sinkt jetzt. Subtilere Ideologien jedoch sind überall anzutreffen:

Wenn Du Dich gesund ernähren würdest, dann wärst Du jetzt… (durch die Profitgier der Konzerne kam das Böse, hier die Industrienahrung, also alle prozessierten Lebensmittel, in das Paradies der glücklichen Steinzeitnahrung, also Fleisch oder Körner, je nach Überzeugung. Daraus vertrieben werden wir heute alle krank. Nur indem ich zu vegetarischer, veganer, makrobiotischer, Hayscher, koscherer, proteinreicher, ovo-lacto-, frugivorer oder Quark-Öl-Ernährung zurückkehre, werde ich ohne Krankheit sein, ja nach dieser Ideologie eigentlich nicht mehr sterben.

Dasselbe gilt für gesundes Wasser, gesunde Betten, Kleidung, Deodorants, Mobiltelefone, Salzkristalle und den ganzen bunten Reigen um das Thema „Mensch und Krankheit“. Oder „Mensch und Umwelt“. Oder „Mensch und Gesellschaft“ . Oder „Mann und Frau“. Eine endlose Beschreibung des bunten Gartens menschlichen Lebens und menschlicher Konflikte.

Nun sind im Bereich der Religionen die Kennzeichen der Ideologie erfüllt, da stimmt noch (fast) jeder zu. Ich zähle auch die Pseudoreligionen wie den Materialismus dazu: Durch den Glauben an irgendeine höhere Ordnung kam das Böse wie Inquisition, Kreuzzüge, Scheibenerde, Selbstmordattentäter, Mord & Totschlag sowie alle Ignoranz in die Welt der glücklichen freien Gedankenträger. Nur indem ich mich streng an das wissenschaftlich Nachweisbare halte, vermeide ich diese Verblendung und lebe in der „Wirklichkeit“, der Vernunft, der Toleranz etc. erlange so den Zutritt ins alte Paradies…

So unterstützend und Sicherheit vermittelnd alle diese Gedankenkonstrukte sind, so verhindern sie auch den offenen Blick auf das Leben und seine Erscheinungen; stets ist der Blickwinkel eines Ideologisierten enger, die Schlüsse rascher, die Urteile härter. Ich selbst habe bisher noch keine letzte Wirklichkeit in der Welt der Vernunft gefunden. Wenngleich viele es für sich beanspruchen: Ganz zum Schluß erscheinen die Glaubensannahmen, so daß auch die atheistische Ideologie sowie der Materialismus auf einem Glaubenskonzept beruhen, wenngleich sie gerade das zu vermeiden suchen und vorgeben. Bis zur Entdeckung des Magnetismus waren seine Einflüsse nicht bekannt und wurden anders erklärt. Heute hat jeder eine ungefähre Vorstellung davon. Doch welche Kräfte sind uns weiterhin unbekannt? Morphische Felder? Bei welchem Leser geht jetzt das Klappmesser in der Hose auf, wenn der Name Rupert Sheldrake fällt?

Und so kommen wir zu einem weiteren Punkt: Ist die Erfahrungswelt erst einmal zu Überzeugungen und Ideologien geronnen, erweisen sie sich für den Träger als Sicherheit stiftend und werden zäh gegen Bewußtwerdung und Durchleuchtung verteidigt, ähnlich dem Altersstarrsinn. Die Vermeidung von Sicherheitsverlust wiegt dann mehr als der Eintritt in das Nicht-Wissen. Und ja, zunächst kann sich das Nicht-Wissen unangenehm anfühlen. Nachdem ich die Erfahrung gemacht habe, daß im Raum des Nicht-Wissens viel Platz für alle möglichen Strukturen ist, genieße ich es. Wenn ich es möchte, denke ich auch angestrengt und mit unerbittlicher Konsequenz ein Szenario durch. Spiele mit ganzem Ernst das Glasperlenspiel, dem Magister Ludi folgend. Gleichzeitig bleibt es ein Spiel und ermöglicht, mit diesem Ernst zu einem anderen Zeitpunkt möglicherweise die gegenteilige Position einnehmen. Und wenn ich mich glaube, entscheiden zu müssen, tue ich das mit allen dazugehörigen Konsequenzen. Zu anderer Zeit komme ich vielleicht mit neuen Erfahrungen und verändertem Blickwinkel möglicherweise zu anderen Schlüssen mit anderen Konsequenzen. Meine Positionen werden so freier, spielerischer, dadurch nicht weniger ernst, doch weniger kriegerisch. Und ich schaffe mir Raum für Entwicklung, Veränderung, so wie alles Lebendige sich ändert. Nur Lebloses bleibt unverändert, bleibt „konsequent“.

Ich muß nicht mehr sofort Bezug nehmen, in Beziehung gehen und Stellung beziehen, es kann dauern, zu meinen Schlüssen zu kommen. Ich nehme mir Zeit, Dinge zu erleben und aus verschiedenen Positionen wahrzunehmen. Ich muß nicht sofort „wissen“, um mich sicher zu fühlen, denn ich speise meine Sicherheit auch aus anderen Quellen, nicht allein aus denen des Geistes und des Urteils über die Lebenserscheinungen. Doch über diese Quellen mehr an anderer Stelle.

Das ist die Geistesfreiheit, wie ich sie verstehe. Die zunehmende Freiheit von den inneren Wahrnehmungseinschränkungen und die Freiheit zu gewagten Interpretationsexperimenten. Die Freiheit von Vorbelegungen und die Freiheit zu konsequentem Handeln. Die Freiheit von bisher Erlebtem und die Freiheit zu neuen Positionen. Diese Freiheit will ich gern verteidigen.

V. Klein